Geschichte des Uracher Wasserfalls

Besonders in den Morgenstunden, wenn sich das Licht der Vormittagssonne regenbogenfarben in dem aufwirbelnden Wasserstaub bricht, oder im Winter, wenn der Fall eine riesige Eissäule bildet, wird der Besuch des Wasserfalls ein eindrucksvolles Erlebnis.

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Dem schwäbischen Dichter-Pfarrer Eduard Mörike (1804-1875) wird dieses Naturspiel zum Spiegelbild des eigenen Lebens: „… Hinweg! Und leite mich, du Schar von Quellen, Die ihr durchspielt der Matten grünes Gold! Zeigt mir die urbemoosten Wasserzellen, aus denen euer ewiges Leben rollt, Im kühnsten Walde die verwachsenen Schwellen, Wo euer Mutter Kraft im Berge grollt, Bis sie im breiten Schwung an Felsenwänden Herabstürzt, euch im Tale zu versenden.“ schreibt er in einem seiner besten Gedichte, dem „Besuch in Urach“, Erinnerungen an seine Schulzeit im Evang. theologischen Seminar in Urach. 

Der den Wasserfall bildende Bach entspringt hinter der Hochwiese. Färbversuche haben ergeben, dass der größte Teil des Quellwassers aus dem St. Johanner Gebiet auf der Hochfläche stammt, rund vier Kilometer entfernt.  Die Wasserfall-Bach-Quelle schüttet durchschnittlich 5 bis 10 Liter pro Sekunde (1/sec). Sie kann in einem extrem trockenen Sommer auch vollständig versiegen. In allerdings seltenen Fällen, bei plötzlicher Schneeschmelze oder nach einem starken Wolkenbruch, können aber auch einmal 1000 1/sec Wasser die Tuffwand herabstürzen! 

Bei seiner unterirdischen Wanderung löst das Wasser Kalk. Dieser wird nach dem Quellenaustritt und auch nach dem Fall wieder ausgeschieden, ausgefällt. So kommt es zur Bildung von Kalktuff. Kalktuff bildet sich jedoch nicht bei jeder Quelle. Für die Entstehung von Kalktuff müssen besondere Voraussetzungen vorliegen. Lange Zeit glaubte man, die Temperaturunterschiede im Verlauf eines Tages oder eines Jahres, also die unterschiedliche Erwärmung des Wassers, oder aber der Kohlendioxid-Verbrauch der Wasserpflanzen seien die wesentlichen Ursachen der Kalkfällung. 

Heute weiß man, dass die Geländebeschaffenheit, mit anderen Worten das stärkere oder geringere Gefälle, entscheidende Voraussetzung ist. Notwendig ist auch die Mitwirkung von Pflanzen, die trotz Inkrustierung weiterzuwachsen vermögen, zu Beispiel Moose. Diese Pflanzen stellen die Unterlage für Gallert ausscheidende Algen dar. Sie fangen als Reusen Kalzitkristalle auf, die sich dann an der gallertartigen Masse festsetzen. So gestalten sie das für die Tuffbildung ausschlaggebende Kleinrelief. Die in der Nordseite der Alb vorhandenen Kalktufflager sind alle nacheiszeitlich. Sie entstanden im in wesentlichen in der Atlantikum ernannten Warmzeit (5000 bis 3000 v.Chr.) und im folgenden Subatlantikum (3000 bis Christi Geburt). Heute finden Kalktuffbildungen nur noch in bescheidenem Ausmaß statt. Die Tuffbildung läßt sich an der „Nase“ oder „Schnauze“ des Wasserfalls gut beobachten. Diese wächst langsam über die Tuffwand hinaus. Sie kann mehrere Meter lang werden und bricht von Zeit zu Zeit, wenn ihr Eigengewicht zu hoch wird, ab – zuletzt 1944 und 1951. 

Kalktuff wurde bis zur Erschöpfung der Steinbrüche in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts an vielen Stellen der Uracher Alb gebrochen: Im Seeburger Tal, im Bad Uracher Stadtteil Seeburg selbst, am Gütersteiner und Uracher Wasserfall, um nur einige Beispiele zu nennen. Kalktuff war in der engeren und weiteren Umgebung Bad Urach sein überaus beliebter Baustein. Er lässt sich in bergfeuchtem Zustand leicht bearbeiten, wird dann hart und standfest und ist doch noch porös. Für den Bau aller alten Gebäude in Bad Urach (Stiftskirche St. Amandus, Residenzschloss, Dicker Turm, Zeughausturm usw.) ist einst Kalktuff verwendet worden.

Quelle

Textauszug aus "Bad Urach Wanderbuch" von Walter Röhm, erschienen 1995 von der Arbeitsgemeinschaft Fremdenverkehr Bad Urach e.V.